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Weitere Namen
Rafaïter-Ebene; Ebene Refaïm, Refaïm-Talebene, Talebene Refaim, Ebene der Refaim, Valley of Rephaim
Lokalisierungsvorschläge
Namensformen AT
עמק רפאים ʿemæq repāʾîm. ἡ κοιλάδα ραφαϊμ, ἡ γῆ ραφαϊν, εμεκραφαϊν, ἡ κοιλάδα τῶν τιτάνων, ἡ κοιλάδα τῶν γιγάντων
Belege AT
Jos 15,8; Jos 18,16; 2Sam 5,18; 2Sam 5,22; 2Sam 23,13; Jes 17,5; 1Chr 11,15; 1Chr 14,9; 1Chr 14,13(LXX)
Belege NT
ausserbiblische Belege aus vorhellenistischer Zeit
(BIS CA. 300 v.Chr.)
Deuterokanonische Texte und Ausserbiblische Belege
ab hellenistischer Zeit
ἡ κοιλάδα τῶν γιγάντων (Josephus, antiquitates 7,71)
Ἐμεκραφαίμ, ἡ κοιλάδα Ῥαφαίμ (Eusebius, Onomastikon: Timm 108,6 § 430; Klostermann 86,22f; Notley, R. Steven / Safrai, Zeʾev 2005a, 85 § 430); Emecrafaim, uallis Rafaim (Hieronymus: Timm 108*,7)
Κοιλὰς τιτάνων (Eusebius, Onomastikon: Timm 149,2 § 611; Klostermann 116,26; Notley, R. Steven / Safrai, Zeʾev 2005a, 112 § 608); Coelas Titanorum (Hieronymus: Timm 149*,2f)
Beschreibung
In der Wendung ʿemæq repāʾîm ist insbesondere der erste Namensteil interpretationsbedürftig. Wenn der Ausdruck ʿemæq alleine steht, meint er größere Tiefebenen, in topographischen Kontexten insbesondere die dem Bergland Judas westlich vorgelagerte Küstenebene (Num 14,25; Ri 1,19). Auch die Wendung ʿemæq jizreʿæʾl Ebene Jesreel (Jos 17,16; Ri 6,33; Hos 1,5) bezeichnet eine Tiefebene, obgleich hier bereits der Aspekt eines von Bergzügen abgegrenzten breiten Tals einfließt. Von daher kann ʿemæq auch ein Bachtal meinen, etwa in der Angabe ʿemæq jehôšāpāt Tal Joschafat (Jo 4,2; Jo 4,12), die als Alternativname für das Kidrontal östlich von Jerusalem steht. Die LXX nimmt v.a die letztgenannte Bedeutungsvariante auf und verwendet an den erwähnten Stellen jeweils das Nomen ἡ κοιλάδα „das Tal“. Entsprechend wird ʿemæq repāʾîm zumindest einmal als ἡ κοιλάδα ραφαϊμ wiedergegeben (2Sam 23,13). Daneben finden sich die Transkription εμεκραφαϊν (Jos 18,16) und der Ausdruck ἡ γῆ ραφαϊν „das Land der Rafaïter“ (Jos 15,8). Dieser Terminus ist eine literarische Bezugnahme auf die in Dtn 2,20 und Dtn 3,13 genannte Wendung ʾæræṣ repāʾîm „Land der Rafaïter“, die griechisch ebenfalls mit ἡ γῆ ραφαϊν wiedergegeben ist. Sachlich-topographisch trifft der Bezug jedoch nicht zu, da das „Land der Rafaïter“ im Deuteronomium mit der ostjordanischen Landschaft Baschan gleichgesetzt ist. Der Name repāʾîm „Rafaïter“ rekurriert auf eine mehrfach im Alten Testament erwähnte Gruppe der vorisraelitischen Bevölkerung des Landes Kanaan (Gen 14,5; Gen 15,20; Dtn 2,11; Dtn 2,21; Jos 12,4; Jos 13,12). Teilweise wird ihnen eine außergewöhnliche körperliche Größe zugeschrieben (Dtn 3,11). Als Nachkommen eines gewissen Rafa werden sie in Zusammenhang mit den Philistern gebracht (2Sam 21,16-22; 1Chr 20,6-8; vgl. 1Chr 20,4). Darauf dürfte auch der Name ʿemæq repāʾîm zurückzuführen sein, da hier Davids Kämpfe gegen die Philister angesiedelt sind (s.u.). LXX übersetzt repāʾîm zumeist mit οἱ γιγάντοι „die Giganten, die Riesen“. Daher wird ʿemæq repāʾîm in der Chronik mit ἡ κοιλάδα τῶν γιγάντων „das Tal der Giganten/Riesen“ (1Chr 11,15; 1Chr 14,9; 1Chr 14,13) und in den Samuelbüchern mit der in etwa sinngleichen Variante ἡ κοιλάδα τῶν τιτάνων „das Tal der Titanen“ (2Sam 5,18; 2Sam 5,22) wiedergegeben. Josephus nimmt diese Interpretation auf und schreibt, dass Davids Kampf gegen die Philister im „Tal der Giganten/Riesen“ (ἡ κοιλάδα τῶν γιγάντων; antiquitates 7,71) stattfand. In weisheitlichen Büchern des Alten Testaments ist für repāʾîm die in Texten aus Ugarit und aus dem phönizischen Bereich belegte Bedeutung „Bewohner des Totenreichs, Totengeister“ zu finden (Hi 26,5; Ps 88,11; Spr 2,18; Spr 9,18; Spr 21,16; vgl. Jes 14,9) (TUAT III/6, 1306–1316; Hallo, William W. / Younger, K. Lawson Jr. 1997a, 357f; Kühn, Dagmar 2011a, 3.8; Schipper, Bernd Ulrich 2018a, 209).
Im Josuabuch wird die Rafaïterebene in den weitgehend parallel gestalteten Beschreibungen der Nordgrenze Judas und der Südgrenze Benjamins erwähnt (Jos 15,8; Jos 18,16). In beiden Fällen dient die Angabe nicht zur Markierung des Grenzverlaufs, sondern zur näheren Lokalisierung des Hinnomtals, das an den nördlichen Rand der Rafaïterebene grenzen soll. Da das Hinnomtal westlich und südlich des alten Jerusalem verläuft, sollte die Ebene südwestlich von Jerusalem gesucht werden. Gleiches gilt für die Belege in den Samuel- und den Chronikbüchern. Die Rafaïterebene ist der Schauplatz, an dem sich die Kämpfe zwischen David und den Philistern abspielen (2Sam 5,18; 2Sam 5,22; 2Sam 23,13; 1Chr 11,15; 1Chr 14,9). Da das Kerngebiet der Philister (Philisterland) im Südwesten Palästinas lag, sollte die Rafaïterebene zwischen diesem Gebiet und Davids Residenz Jerusalem, mithin südwestlich von Jerusalem gesucht werden. Die erste Auseinandersetzung Davids mit den Philistern (2Sam 5,18-21) soll bei Baal-Perazim stattgefunden haben. Die Lokalisierungsvorschläge für diesen Ort weisen in die Gegend zwischen Jerusalem und Betlehem, mithin in die Gegend südlich von Jerusalem. Die zweite Auseinandersetzung wird bei den Baka-Bäumen (bekāʾîm) geschildert (2Sam 5,22-25), die nicht lokalisiert werden können. Auch die Formulierung, dass David die Philister „von Geba bis dahin, wo es nach Geser geht“ schlug (2Sam 5,25), kann kaum für die Frage der Ausdehnung der Rafaïterebene herangezogen werden (McCarter, P. Kyle Jr. 1984a, 152f.157; Stoebe, Hans Joachim 1994a, 182). Einen Hinweis auf die wirtschaftliche Funktion der Rafaïterebene bietet Jes 17,5. Der Vers setzt voraus, dass die Ebene in alttestamentlicher Zeit als Anbaugebiet für Getreide galt. Dieser Hinweis führt wiederum in den Südwesten Jerusalems, wo sich traditionell das landwirtschaftliche Hinterland der Stadt befand (Gibson, Shimon / Edelstein, Gershon 1985a).
In der älteren Literatur wird die Rafaïterebene mit einer Geländeformation gleichgesetzt, die arabisch el-Beqʿā („die Ebene“) heißt. Sie soll unmittelbar südwestlich des alten Jerusalem bzw. des Hinnomtals beim ehemaligen Bahnhof liegen (Abel, Félix-Marie 1933a, 402; Noth, Martin 1953a, 89.111; Simons, Jan 1959a, 78–80.331f §§ 211.758; McCarter, P. Kyle Jr. 1984a, 153; Stoebe, Hans Joachim 1994a, 176; vgl. Vos, Jacobus Cornelis de 2003a, 324). Das Gelände dort ist heute überbaut. Allerdings findet sich in der genannten Gegend ein Stadtteil, der neuhebräisch „Baka“ heißt. Etwas nördlich davon liegt ein „Emek Refaim“ genanntes Quartier. Von daher könnten sich hier Spuren der lokalen Zuordnung erhalten haben. In der neueren Forschungsbeiträgen wird auf den „Oberlauf des Wādī eṣ-Ṣarār“ (Fritz, Volkmar 1994a, 160) verwiesen. Dabei handelt es sich um das Tal, durch das bis 1998 die alte Bahnstrecke, ausgehend vom oben erwähnten ehemaligen Jerusalemer Bahnhof, nach Tel Aviv/Jaffa (Jafo) führte. Mitunter wird auch der Name Wādī el-Ward für dieses Tal angegeben (Miller, James Maxwell 1974a, 118; vgl. Vos, Jacobus Cornelis de 2003a, 324). Der neuhebräische Name Naḥal Śōreq knüpft an das alttestamentliche Toponym „Tal Sorek“ an (Ri 16,4), das im Philistergebiet gedacht ist und ebenfalls mit einem Teilabschnitt des Wādī eṣ-Ṣarār gleichgesetzt werden kann (Gaß, Erasmus 2005a, 382f), jedoch nicht mit der Rafaïterebene in Verbindung gebracht wird. Im Wādī eṣ-Ṣarār / Naḥal Śōreq wurden ca. 6 bis 10 km westlich bzw. südwestlich des alttestamentlichen Jerusalem kleine unbefestigte Siedlungen ergraben, die in die Mittelbronzezeit bzw. Eisenzeit II zurückreichen (Eisenberg, Emanuel 1993a; Edelstein, Gershon / Milevski, Ianir 1994a; Edelstein, Gershon u.a. 1998a; zur Lage Kellermann, Mechthild u.a. 1985a; Kellermann, Diether u.a. 1992a; Edelstein, Gershon / Milevski, Ianir 1994a, 3f, Fig. 1. und 2.). An einem „Naḥal Rephaim“ genannten Fundplatz bei der ʿAin Yālū / ʿEn Yaʿel und in el-Māliḥa / Manaḥat entstanden in der Mittelbronzezeit I (Ende 3. Jahrtausend v.Chr.) kleine Siedlungen, die zunächst verlassen, in der Mittelbronzezeit IIB (18.–16. Jh. v.Chr.) jedoch wieder aufgebaut wurden. Aus dieser Epoche sind u.a. zeittypische Hofhäuser belegt. In el-Māliḥa / Manaḥat wurde eines der Gebäude noch in der Spätbronzezeit genutzt. Darauf weist u.a. ein Skarabäus, der in die Zeit der 19. Dynastie Ägyptens (13./12. Jh. v.Chr.) datiert wird (Edelstein, Gershon / Milevski, Ianir 1994a, 14f mit Abb. Fig. 12:8). Ab der Eisenzeit II wurde „Naḥal Rephaim“ landwirtschaftlich genutzt. Eine kleine Farm der ausgehenden Eisenzeit II (7./6. Jh. v.Chr.) mit einem zentral gelegenen Pfeilerhaus (Vierraumhaus), mehreren kleinen Gebäuden und Terrassenfeldmauern wurde bei Ḫirbet er-Raʾs entdeckt. Die Terrassenfeldanlagen bei den erwähnten Fundplätzen wurden teilweise noch nach der Eisenzeit II bis in die Neuzeit hinein genutzt. Zur Unterstützung des Feldanbaus wurde bei der ʿAin Yālū / ʿEn Yaʿel ein Bewässerungssystem mit einem ca. 40 m langen Tunnel und Wasserkanälen angelegt. Es wurde sicher in römischer Zeit, eventuell bereits in der Eisenzeit II genutzt (Edelstein, Gershon / Milevski, Ianir 1994a, 10). Die Dokumentation landwirtschaftlicher Einrichtungen entspricht der Aussage von Jes 17,5. Insofern scheint die Gleichsetzuung der Rafaïterebene mit dem oberen Teilabschnitt des Wādī eṣ-Ṣarār / Naḥal Śōreq naheliegend. Während demnach die ältere Forschung von der Vorstellung einer Ebene geleitet zu sein scheint, nimmt die jüngere Fachliteratur stärker den in der LXX bezeugten Aspekt eines Tals auf.
Einen vom Forschungskonsens abweichenden Vorschlag legt Miller vor (Miller, James Maxwell 1974a). Er sucht einige der sowohl für die Nordgrenze Judas (Jos 15,5-11) als auch für die Südgrenze den benjaminitischen Territoriums (Jos 18,15-19) genannten Geländeangaben nördlich von Jerusalem. Sein Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass Jebus ein von Jerusalem zu unterscheidender Ort war, der nördlich der Stadt lag. Im Gegensatz zum Hinnomtal, zum Bergrücken der Jebusiter und zur Rogel-Quelle kann er jedoch für die Rafaïterebene keinen Alternativvorschlag im nördlichen Umfeld Jerusalems unterbreiten (Miller, James Maxwell 1974a, 118). Zudem ist seine These zu Jebus kaum haltbar. Insofern wurde seine Theorie in der einschlägigen Forschung nicht weiterverfolgt. Miller könnte sich allenfalls auf Eusebius berufen. Dieser interpretiert im Onomastikon den Befund aus den Grenzbeschreibungen des Josuabuchs so, dass die Rafaïterebene zu Benjamin gehört (Onomastikon 86,22f). Das hieße, dass die Ebene nördlich von Jerusalem zu suchen wäre, da nach der Gesamtkonzeption der Landverteilungstexte im Josuabuch die Grenze zwischen Juda und Benjamin auf der Höhe von Jerusalem verläuft und entsprechend die Region nördlich der Stadt von Benjamin, diejenige südwestlich der Stadt von Juda beansprucht wird. Da Eusebius keine weiteren Erläuterungen gibt, bleiben seine Einlassungen enigmatisch.
Autor: Detlef Jericke, 2019; letzte Änderung: 2024-07-24 11:38:30
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