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Weitere Namen
Ha-Ai; Ayyah
Lokalisierungsvorschläge
Namensformen AT
עית ,עיה ,העי hā‘aj,‘ajjāh,‘ajjāt. Ἀγγαι, Γαι, Ἀια. „Die Ruine, der Steinhaufen“
Belege AT
Gen 12,8; Gen 13,3; Jos 7,2-5; Jos 8,1-3; Jos 8,9-12; Jos 8,14; Jos 8,17-18; Jos 8,20-21; Jos 8,23-26; Jos 8,28-29; Jos 9,3; Jos 10,1-2; Jos 12,9; Jes 10,28(?); Esr 2,28; Neh 7,32; Neh 11,31(?); 1Chr 7,28(?)
Belege NT
ausserbiblische Belege aus vorhellenistischer Zeit
(BIS CA. 300 v.Chr.)
Deuterokanonische Texte und Ausserbiblische Belege
ab hellenistischer Zeit
Ναϊα (Josephus, antiquitates 5,35.45)
’Αγγαι (Eusebius, Onomastikon: Klostermann 4,27−6,3; Timm 4,14-5,4, Nr.3; Notley, R. Steven / Safrai, Ze’ev 2005a, 6, Nr. 3)
Γαι (Eusebius, Onomastikon: Klostermann 66,8−10; Timm 80,3-5, Nr. 312; Notley, R. Steven / Safrai, Ze’ev 2005a, 65, Nr. 312)
(h)‘j (rabbinisch: Reeg, Gottfried 1989a, 472)
Beschreibung
Ai spielt v.a. in den alttestamentlichen Überlieferungen zur Frühgeschichte Israels und zur nachköniglichen Zeit eine Rolle. Für die Darstellung der israelitischen bzw. judäischen Königszeit scheint der Ort nicht relevant gewesen zu sein. Ai wird meist in Zusammenhang mit Bet-El erwähnt. Abraham schlägt sein Zelt zwischen Bet-El im Westen und Ai im Osten auf und baut dort einen Altar (Gen 12,8; 13,3). Bei der Landnahme unter Josuas Führung wird Ai nach einem ersten erfolglosen Eroberungsversuch durch eine Kriegslist bezwungen und niedergebrannt (Jos 7–8). Auch in dieser Erzählung ist Ai östlich von Bet-El lokalisiert (Jos 7,2; Jos 8,12). Außerdem wird erwähnt, nördlich von Ai liege ein Tal (Jos 8,11). Am Ende der Erzählung wird gesagt, dass Ai „bis zu diesem Tag“ ein zerstörter Platz geblieben ist (Jos 8,28). Die genannten Angaben weisen auf einen Platz östlich von Bet-El, der in der israelitisch-judäischen Königszeit (Eisenzeit II) bzw. zur Zeit der Entstehung von Jos 7–8 nicht bewohnt war, an dem aber Ruinen aus älterer Zeit zu sehen waren. Ai ist noch in den Listen der Rückkehrer aus Babylonien genannt (Esr 2,28; Neh 7,32). Daher sollten Hinweise auf eine Besiedlung in der persischen oder hellenistischen Zeit zu erwarten sein. Drei weitere Belege nennen einen Ort Aja (hebräisch ‘ajjat, Jes 10,28; ‘ajjāh, Neh 11,31; 1Chr 7,28). Gegen eine Gleichsetzung mit Ai spricht, dass in der Genesis und im Josuabuch ebenso wie in Esr 2 und Neh 7 der Ortsname immer mit Artikel gebraucht ist (hā‘aj), während dies in den Belegen zu Aja nicht der Fall ist. Die LXX scheint jedoch von der Identität beider Orte auszugehen, wenn sie in Jes 10,28 ’Αγγαι wie in Gen 12–13 für Ai und in 1Chr 7,28 Γαι(α) wie in Jos 7f schreibt. Einige Textzeugen lesen in 1Chr 7,28 Γαζα „Gaza“, was aber vermutlich auf eine Verschreibung oder auf eine Verwechslung von hebräisch j und z zurückzuführen ist. Zudem fehlt im LXX-Text von Neh 11,31 eine Aja entsprechende Namensform. So wird vermieden, dass ‒ unter der Voraussetzung der Identifikation Aja mit Ai ‒ zwei Namensformen für denselben Ort stehen. Neben der LXX-Überlieferung spricht auch der jeweilige Erzählzusammenhang dafür, Aja mit Ai gleichzusetzen. Jes 10,28–29 nennt als Stationen eines Kriegszugs Assurs neben Aja noch Michmas, Geba, Rama (Rama, benjaminitisch) und Gibea-Saul, durchweg benjaminitische Orte, die an anderer Stelle in engem Zusammenhang mit Bet-El und Ai erwähnt sind (1Sam 13,2; Esr 2,27; Neh 7,31). Auch Neh 11,31 zählt Bet-El unmittelbar nach Aja auf. 1Chr 7,28 erwähnt zwar auch Bet-El, Aja steht in diesem Vers jedoch in engerem syntaktischen Zusammenhang mit Sichem. Daher wird das Aja von 1Chr 7,28 mitunter nicht in der Nachbarschaft von Bet-El, sondern weiter nördlich in Turmus ‘Ayyā (1771.1602) bei Schilo/Ḫirbet Sēlūn (1776.1626) gesucht (Abel, Félix-Marie 1938a, 239f.257; Simons, Jan 1959a, 481 § 1588; ABD 1, 532). Zu Turmus ‘Ayyā sind allerdings bisher keine archäologischen Befunde bekannt, so dass ungewiss ist, ob hier eine antike Siedlung bestand. Die Beobachtung, dass Bet-El und Aja in 1Chr 7,28 als efraimitische Orte angesprochen sind, kann die Ansetzung bei Schilo nicht stützen. Die Zuweisung zu Efraim gründet darin, dass Bet-El sowohl als benjaminitischer (Jos 18,22) wie auch als efraimitischer Ort gilt (Ri 1,22-25). Der Gesamtbefund spricht daher dafür, auch das 1Chr 7,28 genannte Aja mit Ai gleichzusetzen. Die Lokalisierung von Ai hängt wesentlich an der Lagebestimmung von Bet-El. Gewöhnlich wird Bet-El mit dem heutigen Bētīn (1728.1481) gleichgesetzt. Wegen der Übereinstimmung mit den alttestamentlichen Lageangaben und wegen der Namenskontinuität hat sich daher seit einer Studie von Albright die Identifizierung von Ai („die Ruine, der Steinhaufen“) mit dem ca. 2 km südöstlich von Bētīn gelegenen Siedlungshügel et-Tell („Ruinenhügel“) durchgesetzt (Albright, William Foxwell 1924a). Das in Jos 8,11 erwähnte Tal könnte das nördlich von et-Tell verlaufende Wādī el-Gayeh meinen. Auf et-Tell wurde eine etwa 10 ha große frühbronzezeitliche Stadtanlage mit einem Tempel-Palast-Komplex ergraben, die von ca. 3000 bis 2400 v.Chr. bestand. Nach der Zerstörung dieser Stadt blieb der Ort längere Zeit verlassen. Erst im 12. oder 11. Jh. v.Chr. wurde wieder für kurze Zeit eine offene Siedlung errichtet, die wesentlich kleiner als die frühbronzezeitliche Stadt war und lediglich ca. 20 Häuser umfasste. Nach Aufgabe dieser Siedlung war der Platz im Altertum nie wieder bewohnt. Daher waren im 1. Jt. v.Chr. die bronzezeitlichen Trümmer gut sichtbar und gaben vermutlich Anlass zu der ätiologischen Erzählung von Jos 7-8. Der Vorschlag, Ai mit dem zwischen Bētīn und et-Tell gelegenen Siedlungsplatz Ḫirbet el-Maqāṭir (1735.1470) zu identifizieren (Wood, Bryant G. 2000a; Wood, Bryant G. 2001a; Wood, Bryant G. 2008a), kann zumindest die Übereinstimmung mit den alttestamentlichen Lageangaben für sich beanspruchen. Bei Oberflächenuntersuchungen und Grabungen wurden dort Reste der Mittelbronzezeit II (16. Jh. v.Chr.), der Spätbronzezeit (15./14. Jh. v.Chr.), der Eisenzeit I (12./11. Jh. v.Chr.), der späthellenistisch-römischen Zeit (1. Jh. v.Chr.−1. Jh. n.Chr.) und eine Klosteranlage der byzantinischen Zeit (5./6. Jh. n.Chr.) dokumentiert. Die Ausgräber interpretieren die wenigen Mauern, die der Spätbronzezeit zugeordnet werden, als Reste einer ovalen Festung mit einem Durchmesser von ca. 120 m (Wood, Bryant G. 2008a). Diese Deutung erscheint nicht nachvollziehbar. Die Lokalisierung auf Ḫirbet el-Maqāṭir entspringt dem Bemühen, die Historizität der Jos 7-8 erzählten Vorgänge zu erweisen und Ai an einem Platz zu suchen, der zur Zeit der Landnahme zumindest durch einfache Mauern befestigt war. Von ähnlichen Prämissen ist der Vorschlag geleitet, Ai mit der ca. 3,5 km südwestlich von Bētīn gelegenen Ḫirbet Nisīye (1717.1449) gleichzusetzen (Livingston, David Palmer 1994a; Livingston, David Palmer 2003a; Finkelstein, Israel u.a. 2013a, site num 42 [184]; McKinny, Charles Christopher 2016a, 73–75). Hier wurden wenige archäologische Reste aus spätpersisch-hellenistischer Zeit (4./3. Jh. v.Chr.) und aus späteren Perioden gefunden. Dazu kommen Streufunde aus der Eisenzeit II (8. Jh. v.Chr.) und einige Keramikstücke, die in die Spätbronzezeit datiert werden. Wenn Ai auf Ḫirbet Nisīye lokalisiert wird, kann Bet-El nicht mit Bētīn identifiziert werden, da Ai östlich von Bet-El liegen soll. Daher muss Bet-El in dem 2 km nordwestlich von Ḫirbet Nisīye bzw. ca. 3 km westlich von Bētīn gelegenen größeren Ort el-Bīre (1704.1460) gesucht werden, wofür es keine Anhaltspunkte gibt. Weder Ḫirbet el-Maqāṭir noch Ḫirbet Nisīye erfüllen demnach dieselben Voraussetzungen für die Lokalisierung von Ai, die et-Tell bietet. Schwierigkeiten bereitet lediglich das Fehlen nacheisenzeitlicher Reste auf et-Tell, wenn die Erwähnung von Ai in Esr 2 und Neh 7 eine historische Grundlage hat. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, dass der alte Ortsname an einen benachbarten Platz wanderte, was in hellenistischer Zeit in Syrien-Palästina häufiger geschah. Wenig wahrscheinlich ist der Vorschlag, das Ai der persisch-hellenistischen Zeit in Dēr Dibwān (1758.1464) ca. 1 km östlich von et-Tell zu suchen, wo lediglich Besiedlungsspuren aus römischer und späterer Zeit gefunden wurden (Finkelstein, Israel 2008a, 13). Vom Namen und von den archäologischen Befunden her kommt dagegen die ca. 1,5 km südöstlich von et-Tell gelegene Ḫirbet Ḥayyān (1757.1458) in Frage (Bieberstein, Klaus / Mittmann, Siegfried 1991a; Jericke, Detlef 2003a, 88f). Bei Grabungen wurden dort Reste der byzantinischen Zeit, wahrscheinlich eine Kirchen- oder Klosteranlage, freigelegt (Callaway, Joseph A. / Nicol, Murray B. 1966a). Oberflächenbefunde weisen zudem eine Besiedlung in hellenistischer Zeit aus (Finkelstein, Israel / Magen, Itzhak 1993a, 36*.183, Nr. 218). Bei einer Gleichsetzung des Esr 2/Neh 7 genannten Ai mit Ḫirbet Ḥayyān sind die massiven Befunde aus byzantinischer Zeit erklärungsbedürftig, da Eusebius schreibt, ’Αγγαι bzw. Γαι sei zu seiner Zeit ein „wüster Platz“ (τόπος ’έρημος, Onomastikon 6,1f; 66,8−10) und Hieronymus diese Formulierungen in der lateinischen Übersetzung übernimmt. Allerdings hat es den Anschein, als sei für beide Kirchenväter Ai nur mehr ein literarisches Phänomen, da sie den Ort − möglicherweise aufgrund einer fehlerhaften Exegese von Gen 12,8 − „westlich von Bet-El“ lokalisieren (κατά δυσμὰς Βαιθήλ, Eusebius, Onomastikon 4,27).
Autor: Detlef Jericke, 2016; letzte Änderung: 2023-09-14 09:55:43
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Lexikonartikel
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1 (1957), 192 (Eißfeldt, Otto, Art. Ai)
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BHH
1 (1962), 52f (Hertzberg, Hans Wilhelm, Art. Ai)
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TRE
2 (1978), 130f (Schunck, Klaus-Dietrich, Art. Ai)
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BRL2
(1977), 5 (Galling, Kurt, Art. Ai)
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NBL
1 (1991), 68 (Görg, Manfred, Art. Ai)
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ABD
1 (1992), 125–130 (Callaway, Joseph A., Art. Ai); 1 (1992), 532 (Thompson, Henry O., Art. Ayyah)
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NEAEHL
1 (1993), 39−45 (Callaway, Joseph A., Art. Ai)
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LThK3
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1 (1996), 305f (Köckert, Matthias, Art. Ai)
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RGG4
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WiBiLex
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